Emsdettenerin zieht ein Fazit ihrer ersten Paralympics
Quellenangabe: Sportredakteur Marius Holthaus, Emsdettener Volkszeitung, Ausgabe 13.09.2024
Staunen, Strahlen, Tränen: Bei den Paralympics in Paris erlebte Kim Vaske einen großen Mix der Emotionen. Im Interview blickt die Leichtathletin aus Emsdetten zurück und hat auch eine klare Meinung zu Comedian Luke Mockridge und seinen Behinderten-Witzen.
Das große Abenteuer ist vorbei. Am Montagmorgen bestieg Kim Vaske in Paris den Zug Richtung Deutschland. Dort folgte ein großer Empfang bei ihrem Verein Bayer Leverkusen, mit allen Mitgliedern, die bei den Paralympics und zuvor bei den Olympischen Spielen am Start waren. Eine von ihnen: Kim Vaske, aufgewachsen in Emsdetten und hier bei der Laufgemeinschaft sportlich groß geworden. Im Interview blickt die 19-Jährige auf ihre ersten Paralympics zurück, spricht über Gänsehaut, Tränen und schlechten Humor.
Wie fällt ganz allgemein dein Paris-Fazit aus?
Kim Vaske (19): Das war alles so krass. Im Zug nach Hause habe ich es noch mal ein Stück weit realisiert: Du warst wirklich dort, hast das alles wirklich erlebt. Vorher im Paralympischen Dorf war es wie im Traum, surreal. Man lebte nur mit Sportlern zusammen. Als ich wieder in meiner Wohnung in Leverkusen ankam, war ich kurz überfordert, was ich jetzt mit meinem Leben anfangen soll. Vorher war ich drei Wochen nur unterwegs, erst im Trainingslager, dann in Paris.
Wenn man dich nach deinen persönlichen Höhepunkten fragt, was blitzt dann als erstes durch deinen Kopf?
Vaske: Gänsehaut im vollen Stade de France. Die Paralympics in diesem Jahr haben einen neuen Zuschauerrekord aufgestellt. Auch am Samstag bei meinen 200 Metern war das Stadion ausverkauft. Dann kommst du da rein und 80000 Menschen gucken auf dich. In meinem Vorlauf war ja auch eine Französin am Start. Als sie ins Stadion kam, vorgestellt wurde und beim Startschuss dachte ich, meine Ohren bimmeln, so laut war es.
Wie hast du am Sonntag die Abschlussfeier erlebt?
Vaske: Die war auch krass. Der Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees hat das ausverkaufte Stadion aufgefordert, die längsten Standing Ovations zu geben. Die Zuschauer haben bestimmt drei Minuten gestanden und Lärm für uns gemacht.
Schauen wir auf deine sportliche Bilanz. Zuerst stand in der vergangenen Woche der 100-Meter-Sprint an. Nach dem Vorlauf war Schluss, und deine Bestzeit von 13,09 Sekunden hast du verpasst.
Vaske: Die war auch nicht das Ziel. Durch meine Verletzung im Februar und März haben mir zwei Monate gefehlt, und ich habe mich ja aufs Kugelstoßen konzentriert. Die 13,22 Sekunden waren aber immerhin meine drittbeste Zeit und die zweitschnellste in diesem Jahr.
Einen Tag später kullerten bei dir nach dem Kugelstoßen Tränen der Enttäuschung.
Vaske: Du trittst ja mit einer gewissen Erwartung an dich selbst an. Es ist meine beste Disziplin, da will ich abliefern, will zeigen, was ich kann. Als ich dann gemerkt habe, dass es nicht mein Tag ist, dass auch der dritte Versuch enttäuschend und ich damit als 15. ausgeschieden bin, da mussten die Tränen raus.
Woran lag’s? Nervosität?
Vaske: Ich schätze ja. Obwohl ich mich gar nicht so nervös gefühlt habe. Oder nicht fühlen wollte. Aber die Nervosität war wohl doch in mir drin. Außerdem war die Konkurrenz einschüchternd. Die anderen betreiben das Kugelstoßen nicht erst seit neun Monaten, so wie ich, sondern seit Jahren. Und dann legt die US-Amerikanerin im zweiten Versuch einen neuen Weltrekord hin.
Dein weitester Versuch landete bei 9,04 Meter. Mit deiner Bestmarke von 10,66 Metern hättest du das Finale der besten Acht erreicht, hättest dann noch drei weitere Male in den Ring gedurft.
Vaske: Richtig. Das macht es doppelt hart. Hätte ich elf Meter fürs Finale der besten Acht gebraucht, hätte ich gesagt: Ok, so weit habe ich einfach noch nie gestoßen. Aber die 10,66 Meter hätte ich draufgehabt, das tat dann extra weh.
Gab’s Vorwürfe deines Trainers?
Vaske: Nein, gar nicht. Er hat mich in den Arm genommen und gesagt: Alles gut, unser Ziel war es, hier zu sein, ich soll alles rauslassen. Er hat schon viele Athleten betreut und weiß, dass es manchmal einfach nicht funktioniert. Aber aus Fehlern lernt man, mein nächster Wettkampf wird definitiv besser.
Wie waren die Stunden und Tage danach?
Vaske: An dem Mittwoch haben mich meine Eltern im Paralympischen Dorf besucht. Das hat mich abgelenkt, ich hab ihnen das Dorf gezeigt. Am Donnerstag habe ich freigemacht, am Freitag ein bisschen trainiert und am Samstag standen dann ja die 200 Meter an.
Da war zwar auch nach dem Vorlauf Schluss, aber du wurdest in deinem Rennen starke Vierte, hast deine Bestzeit um ein Zehntel auf 27,17 Sekunden verbessert.
Vaske: Ich wollte all meinen Frust auf der Bahn lassen und mit einem zufriedenstellenden Ergebnis aus den Paralympics gehen, wollte zeigen, was in mir steckt. Das hat mit der persönlichen Bestzeit geklappt. Ich bin einfach nur gerannt. Auf den ersten 15 Metern habe ich mir gesagt: Druck, Druck, Druck. Auf den letzten 20 Metern dann: Knie hoch und ins Ziel. Mehr weiß ich von dem Rennen nicht mehr.
In den Interviews bei ARD und ZDF direkt nach deinen Wettkämpfen wirktest du mit deinen 19 Jahren extrem cool und abgeklärt.
Vaske (lacht): Viele haben mir nachher gesagt, ich könne gut reden. Ich wurde auch oft angeschrieben: Hey, wir haben dich bei den Paralympics gesehen. Dabei bin ich doch nur ein kleines Mädchen aus Emsdetten, das Sport machen will. Und plötzlich sehen dich so viele Menschen.
Während der Paralympics hat der Comedian Luke Mockridge mit Witzen über behinderte Sportler einen Shitstorm geerntet.
Vaske: Das waren ja keine Witze, sondern er hat uns einfach nur ins Lächerliche gezogen. Wir haben das im Team auch gesehen und waren schockiert über solche unqualifizierten Aussagen. Untereinander machen wir Behinderten auch Scherze über uns, aber wir wissen, wo die Grenzen sind. Man sollte aufpassen, was man von sich gibt, wenn man nicht selbst behindert ist. Wir sind genauso Sportler, die ihr Bestes geben.